Wolfgang Engler: Die Ostdeutschen und die Demokratie

Ein Tagesschau-Kommentar entfacht auf Facebook heftige Reaktionen. Ich beteilige mich und nutze einen Text von Wolfgang Engler zur Argumentation.

OW: Der ostdeutsche Soziologe und Philosoph Engler hat in seinem Kurzaufsatz „Die Ostdeutschen und die Demokratie“ m.E. ganz gut beschrieben, was hier los ist. (Ich bin gebürtiger Ostdeutscher und lebe in der sächsischen Provinz.)

KG: Olaf Winkler, kenne ich schon…aber das ist eigentlich der Kern meines Posts. Ich will nichts mehr über den Osten lesen, hören, posten, nachdenken…. Die ach so gequälte Psyche des armen Ostlers analysieren und ihn endlich glücklich machen müssen! Die Welt wird immer brutaler, härter, komplizierter. Jeder hat seine Kämpfe, seine Sorgen und seine Aufgaben… Die meisten von uns kämpfen sich durch, kommen klar und viele schauen auch noch nach denen, die nicht gut klar kommen. Von SHS bis Bayern klappt das mal mehr oder weniger gut. Wir alle wünschen uns ein sozialetes, menschenfreundlicheres Land. Aber wir zünden dafür nicht die Welt an. Und es wäre nett, wenn der Osten seine Opferrolle mal hintenanstellen würde. Ich glaube viele von uns haben genug davon, den trotzigen Teenie zu pampern, der ständig heult, weil nicht genug Schoko auf dem Keks ist. Und es ist auch immer weniger Geduld da, für Leute, die hirnlose Faschos wählen und das mit einem “ Wendetrauma“ begründen….für die Westler hat sich das Land und das Leben ’89 auch massiv verändert, ohne das wir ein Trauma hätten haben dürfen. Vielleicht ist es an der Zeit, das auch wir mal sagen, “ Wir sind das Volk und ihr nervt !“

OW: Dass man den Unterschied „Ostdeutsche “ und „Westdeutsche“ noch immer aufmacht, mag ärgerlich sein für die tapfere „Einheitssehnsucht“ – und dennoch gibt es auf der politischen Landkarte diesen auffälligen Ost/West- „Farbunterschied“. Während im Westen Deutschlands der Aufschwung der Rechskonservativen/Rechtsradikalen in der sozialen Mitte eher wieder abnimmt, hat er sich im Osten Deutschlands verfestigt. Und die Landtagswahlen werden dies sicher bekräftigten: Die Rechskonservativen/Rechtsradikalen besetzen die Mitte der ostdeutschen Gesellschaft. Eine fürchterliche Masseninfektion. Interessant finde ich, dass Engler bei seiner Ost-Diagnose (hinsichtlich des „Farbunterschieds“), dies wäre ein unmittelbares sozialpsychologisches „Erbe der DDR selbst“ – dieses Argument entkräftet. Er verschiebt nämlich (mich) überzeugend den historischen Ausgangspunkt der Diagnose! Es geht nicht mehr darum, OB es an der DDR selbst liegt, sondern daran WIE die untergegangene DDR-Gesellschaft (mit all ihren Phänomenen) in die Bundesrepublik „integriert“ wurde. 
Engler spricht von dem Paradox: GEWINN an politischer Selbstbestimmung bei gleichzeitigem VERLUST an sozialökonomischer Selbstbestimmung. Und das hallt jetzt kräftig nach. Peng!

Und dann bringt Engler diesen Punkt: „Die Lehre aus diesem Dilemma ist einfach, jeder, der seinen Verstand gebraucht, kann sie verstehen. Ein derart umfassender und radikaler gesellschaftlicher Umbau, wie er sich im Osten Deutschlands nach 1990 vollzog, muss in allererster Linie die Ressourcen und die Kraft der einheimischen Bevölkerung stärken. Die schnell um sich greifende sozialökonomische Demobilisierung der Ostdeutschen war ein Unglück, das sich nicht hätte ereignen dürfen, und dessen nun allseits sichtbare Ausläufer das ganze Land betreffen.“ 

Und jetzt hat er ihn – meiner Meinung nach – den entscheidenden Punkt, er hat den TIEFEREN Infektionsherd eingekreist, aus dem sich dieses neue Phänomen Rechtskonservatismus/Rechtsradikalität in der sozialen Mitte des Osten wie ein Virus verbreitete. Im Osten brauchte es (nur noch) eines AUSLÖSERS. Und das war das Migrationsthema, an dem hier alles explodierte. (Wie 1929/33 als die Juden, Sozis, Kommunisten, Schwule, Zigeuner usw. herhalten mussten vor dem Hintergrund des verlorenen Weltkrieges/Versaille Verträge. Diese Ähnlichkeit ist gruselig und ebenso gruselig ist die Blindheit jener im Osten, die auf dieses politische Prinzip Rechtskonservatismus/Rechtsextremismus erneut reinfallen.)

Engler schreibt übrigens:
„Der Auftrieb der Neuen Rechten bewirkte eine Repolitisierung der Gesellschaft, die bis heute anhält. Die Wahlbeteiligung steigt, die Profile der Parteien schärfen sich, die derweil weitverzweigten Kanäle der öffentlichen Meinungsbildung reflektieren die wachsende Polarisierung der Gemüter und verstärken sie zugleich. Der Druck, selbst Stellung zu beziehen, wächst. Zuschauer des politischen Geschehens werden zu Akteuren. Und das ist gut so.
Wer handelt, trifft Entscheidungen, die so, aber auch anders möglich wären. Behaupte niemand, die Umstände diktierten seinen Willen, denn das ist eine Lüge. Noch die drückendsten Lebensbedingungen bringen eine Vielfalt individueller Antworten hervor. Es gibt, um wieder den Osten ins Spiel zu bringen, Dutzende von Gründen, warum professionelle Frustverstärker hier solchen Zulauf finden. Kein einziger legitimiert den Beitritt ins Lager der Neuen Rechten. Es gibt keinen Notstand, auch keinen sozialen, auf den man sich bei dieser Option berufen könnte.“
Okay?

(Aus einer Facebook-Diskussion am 02.08.19)