Auf 3sat kürzlich einen Film von Andrzej Zulawski „Die Treue der Frauen“ gesehen. Zunächst sei 3sat zitiert: „Eine Fotografin zerreißt sich zwischen einem Ehemann, den sie liebt aber nicht begehrt, und einem jungen Draufgänger, den sie begehrt aber nicht liebt. Doch sie bleibt bis zum bitteren Ende ihrem ehelichen Treueschwur verbunden.“
Wenn eine fatale Deutung Realität wird
Die Aussage: Zerrissen zwischen Ehemann, den sie liebt, aber nicht begehrt und einem Draufgänger, den sie begehrt, aber nicht liebt – diese Aussage scheint mir nicht zutreffend, denn die Ausgangssituation der Story erlebte ich ganz anders: Eine Ehefrau (Clélia) hat sich in einen Mann (Némo) verliebt und sie liebt ihren Ehemann (Clève), in den sie nicht verliebt ist.
Das Berührende an der Story: Ehefrau Clélia hat Ehemann Clève versprochen offen zu sein, wenn neue Männer in ihr Leben treten. Weiterhin berührend: Ehemann Clève ist frei von Vorwürfen als Ehefrau Clélia bekennt, sie habe sich in einen anderen Mann verliebt (Némo).
Das Fatale: Ehemann Clève schlussfolgert aus dem Bekenntnis seiner Ehefrau, er werde von ihr nicht mehr geliebt. Aus dieser Gleichung ‚Ehefrau ist in einen anderen Mann verliebt‘ = ‚Ehefrau liebt den Ehemann nicht mehr‘ speist das Männchen Clève seine mit großen Gesten begleitete Qual. Er denkt diese Gleichung – und setzt sie als gegebenen Fakt voraus, stellt sie nicht in Frage.
Eine eigentümliche Grundsituation entsteht: Eine Deutung wird als Fakt behauptet, an ihr leiden die Figuren. Aus dieser heimtückischen ‚Gleichsetzung‘ speist die Story den Brennstoff für ihren Handlungsmotor.
Die ‚Treue’-Falle
Zum einen folgen wir nun Ehemann Clève, wie er sich ekstatisch selbst abwertet. Er leidet an der Verliebtheit seiner Ehefrau (die ihm die Grenze seiner eignen Attraktivität vorführt) – und seine einzige Bewegung hierbei ist: Sich in diese halsbrecherische ‚Gleichsetzung‘ einspinnen, wie eine verrückt gewordene Spinne, die sich selbst einspinnt, die sich mit einer fetten, leckeren Fliege verwechselt hat, bis sie an den eigenen Fäden erstickt.
Zum andern folgen wir dem Leid der Ehefrau Clélia. Die Koexistenz beider Gefühle wird ihr ein quälender Widerspruch, weil Ehemann Clève durch sein theatralisches Klagen von ihr sexuelle Treue erbittet. Neben ‚Liebe’ und ‚Verliebtheit’ tritt nun die ‚sexuelle Treue’ in dieses nicht unterschiedene Feld von Bedürfnissen. Ehemann Clève greift in zwei verschiedene Bedürfnisse seiner Ehefrau zu zwei verschiedenen Männern ein – und bringt sie in Gegensatz.
Und so wird Clélia in die Spinnbewegungen ihres Ehemannes hineingezogen, denn auch sie wehrt die ‚Gleichsetzung‘ ihres Ehemannes nicht offensiv ab. Statt auf den Unterschied zu beharren – Ich liebe dich und ich bin in einen anderen Mann verliebt! – kämpft sie verbissen um den Erhalt des Status‘ der ‚sexuelle Treue’. Die Logik ihres Ehemannes hat sie infiziert: Dem verliebten Begehren oder begehrenden Verliebtsein zu Némo darf sie nicht nachzugeben, weil ihrem Nachgeben unterstellt wird, es löschte ihre Liebe zu ihrem Ehemann Clève aus. Ein Hexentanz.
‚Treue’ und ‚schlechtes Gewissen’ – verschwendete Lebensenergie
Doch die unterschiedslose ‚Gleichsetzung’ erzeugt weitere Qualen: Ehemann Clève glaubt nämlich Clélias so mühselig aufrechterhaltene ‚Treue’ nicht! Der symbiotische Schmerz bohrt sich weiter in die Seelen der beteiligten Figuren. (Man bedenke: Der Ausgangspunkt des Konfliktes ist eine unterstellende Gleichsetzung, dass das Verliebtsein in einen anderen Menschen die Liebe zum Partner auslöscht!) Ehefrau Clélia tappt damit in die Falle des schlechten Gewissens, die der verletzt-exaltierte Ehemann Clève ausgelegt hat.
Doch jetzt kommt’s: Ihren Höhepunkt findet diese Seelenbohrung als Ehemann Clève stirbt – aus Liebesschmerz. Das Geschehen übersteigert sich nun: Witwe Clélia geht voller Schuldgefühle in ein Frauenkloster, Buße tun. Sie fotografiert nur noch Pflanzen. Da erscheint ihr der tote Ehemann Clève. Nunmehr werden die Eheringe abgelegt. Der Treueschwur findet seine Auflösung.
Was die Story darbietet: Die ‚Treue der Frauen’ ist hier eine selbstzerstörerische Logik, die ein Ehemann in Gang gesetzt hat und der eine Ehefrau auf den Leim geht. Mir scheint: Ein Blick in die Hölle symbiotischer Beziehungen – und ihrer kuriosen Treue-Vorstellungen. Was für eine Verschwendung von Lebensenergie! Partnerschaft und Wachstum des Einzelnen schließen sich hier aus.