„Hannah Arendt“ – Das Alte und das Modische

Ein „altmodischer“ Film ist meine erste Reaktion, als ich im Kinosaal mal kurz auftauche, bevor ich dann wieder im Handlungsfluss verschwinde, mitschwimme, mitschwinge. Ich bin sehr berührt von der zentralen These, die der Film formuliert. Als ihre Stimme lässt er Hannah Arendt über Eichmann sagen:

„Er sagte, er hätte ausschließlich Befehle befolgt. Diese typische Nazi-Ausrede macht uns klar, dass das Böseste in der Welt das Böse ist, das begangen wird von ‚Nobodies’. Böses, begangen von Menschen ohne jedes Motiv. Ohne Überzeugungen, ohne bösen Charakter oder dämonischen Willen, von menschlichen Wesen, die sich weigern Individuen zu sein. Und es ist dieses Phänomen, das ich bezeichne als ‚Banalität des Bösen.’ (…) Seit Sokrates und Platon, bezeichnen wir als ‚Denken’, den stillen Dialog zwischen mir und mir selbst. Indem er sich geweigert hat, eine Person zu sein, hat Eichmann die entscheidende Fähigkeit die erst einen Menschen ausmacht, vollständig aufgegeben, nämlich die Fähigkeit, selbst zu denken. Infolgedessen war er nicht mehr imstande, moralische Urteile zu fällen. Dieses Unvermögen, zu denken, schaffte erst die Voraussetzung für viele ganz gewöhnliche Menschen, abscheulichste Taten in einem gigantischen Ausmaß zu begehen, dergleichen man noch nie gesehen hatte. Noch nie zuvor.“

Dieser zentralen These gesellt sich ein weiterer, messerscharfer Aspekt hinzu:

„Ich habe nie dem jüdischen Volk die Schuld gegeben! Widerstand war nicht möglich. Aber vielleicht gibt es noch etwas, etwas zwischen Widerstand und Kooperation. Und nur in diesem Sinne stelle ich die Frage, ob sich nicht vielleicht eine Reihe von jüdischen Räten anders hätte verhalten können. Es ist fundamental wichtig, uns diese Fragen zu stellen. Und zwar weil die Rolle der jüdischen Räte in erschreckender Weise Aufschluss gibt über die Totalität des moralischen Zusammenbruchs, den die Nazis ausgelöst haben in achtbaren europäischen Gesellschaften. Und das nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen Ländern. Und nicht nur in den Reihen der Verfolgern, sondern ebenso bei den Opfern.“

Diese Gedanken erzeugen einen Sturm der Empörung (verkörpert von Figuren), nicht gegen den Gedanken, sondern gegen Hannah Arendt. Regisseurin Margarethe von Trotta zeichnet diese Empörung nach als Rufmord der Hannah Arendt.

Dieser Antagonismus (Gedankenschärfe versus Empörung darüber) macht für mich den Glutkern der Story aus. Auf ihn läuft die Handlung zu – und aus ihm sprüht die emotionale Energie, schlägt der Funke auf mich als Zuschauer über. Und hier begann, im Kinosaal, wenig später mein Unbehagen.

Die Empörungsgefühle, die der Filmfigur Hannah Arendt seitens ihrer Widersacher entgegen schlug, diese Empörung schießt plötzlich aus mir selbst heraus (als Zuschauer) – gegen die empörten Filmfiguren. Ich wettere, krakeele, fluche gegen die „blinden Hühner“, gegen die Ignoranz und Arroganz gegenüber dem nach Klarheit suchendem Denken! Ich bin aufgeputscht gegen die Aufgeputschten! Mich treibt die gleiche Emotion, die meine „Feinde“ im Film gegen meine „Heldin“ treiben. Bis ich nicht mehr kann. Bis ich aus dieser Art von Identifikation mit meiner „Heldin“ aussteige, weil es ich nicht mehr aushalte.

Stattdessen will ich verstehen, warum die Empörung gegen Hannah Arendt so heftig ist. Ich habe Sehnsucht nach starken Argumenten. Und in dieser unerfüllten Sehnsucht nach starken Argumenten, beschleicht mich der Eindruck, dass sich die Regisseurin dafür keine rechte Mühe gibt; beschleicht mich der Eindruck, dass ich den filmischen (und immer auch manipulativen) Mitteln der Regisseurin erlegen war. Die Ungerechtigkeit, die Margarethe von Trotta empfand hatte sich auf mich übertragen. Nicht dass mich das jetzt empört. Doch jetzt begreife ich meinen anfänglichen, spontanen Implus: Ein „altmodischer“ Film. So macht man Kino auf die alte Weise: Stärke deinen Helden, errege seine Empathie, leide mit ihm. Auf Kosten der Gegenseite, die du in ihrer „Fiesheit“ weidlich ausbreitest. Und eben das ist das Modische: Das emotionale Schwarz-weiß und nicht das emotionale ‚Sowohl-als-auch‘, das Dilemmatische…

Um das klarzustellen: Ohne Frage, ein bedeutungsvoller Aufklärungs- und Bildungsfilm! Vermutlich wird er Schul-“Lektüre“. Zurecht. Um die zentrale These des „Bösen“ medial zu transportieren. Eine These übrigens, die auf Eichmann selbst wohl nicht mehr zutrifft – glaubt man der „Süddeutschen“. Hannah Arendt soll einen bedeutsamen Unterschied bei Eichmann übersehen haben: Das Zusammenfallen von Pflicht und Neigung. Etwas, was er mit einer geschickt-verharmlosenden Maskerade verdeckt haben soll. Etwas, was diese Spielform des Bösen, dann doch wieder ins ‚Dämonische‘ und eben nicht ins ‚Banale‘ treibt, denn dahinter verbirgt sich eine wissende, zielbesessene Persönlichkeit. Insofern hätten wir hier das Paradoxon, dass Hannah Arendt am falschen Beispiel eine tiefe Wahrheit formuliert. Doch – sei es wie es sei! Plausibel, schmerzhaft bleibt die These vom „entpersönlichten“ Schreibtischtäter allemal. Doch in diesem Falle wäre sogar, in der Ignoranz gegenüber dem neuesten Forschungsstand, der Film eben auch hier – altmodisch. Alt und Modisch.

(Hier eine kleine Zusammenstellung von Filmkritiken: Mit gewisser Skepsis die „Süddeutsche“FAZ,  taz – wohl gesonnen: SpiegelSennhausers Filmblog.)