Lektüre Bernhard Schlink: Johann Sebastian Bach auf Rügen

Ein Mann will endlich mal all die unbesprochenen Dinge bereden mit seinem 82-jährigen Vater, den er und seine Schwester als Erwachsene kaum erlebten. Er organisiert eine Reise auf die Insel Rügen. Der Vater mag das Meer. Auf der Insel findet ein Bach-Musikfestival statt. Der Vater mag Bach. Doch vergeblich, außer zu Bachs Werken äußert sich der Vater kaum. Der Sohn gibt auf, keine Fragen mehr an den Vater. Auf der schweigsamen Rückreise überrascht sie ein Gewitter. Sie warten unter einer Brücke die Schütte ab. Und hören Bach-Mottete. „Du bist mein, weil ich dich fasse und dich nicht, oh mein Licht, aus dem Herzen lasse.“ Und schließlich: „Wir sind wie das Gras, eine Blume, fallendes Laub, so der Wind drüber weht, ist es nicht mehr da.“ Der Sohn erlebt seinen schweigenden Vater, den Bach-Kenner, weinend neben sich. Und begreift – irgendwie – wer sein Vater ist. Wer er jetzt ist. „Hatten ihn seine Kinder mit ihren Wandlungen, ihren Irrungen und ihrem Aufbegehren so traurig gemacht, dass er sie nicht sehen mochte? ‚Schade, dass sie größer werden‘, hatte sein Vater zu seiner Tochter gesagt, als er ihre zweijährigen Zwillinge bei Mutters siebzigsten Geburtstag kennen lernte.’“ Lange auf die falsche Sprache gesetzt, um sich den ‚alten Herrn‘ in die eigne Sprache zu übersetzen.