Die Lektüre von Karl Marx‘ „Kapital“ vor einigen Jahren brachte einige erhellende (Gegenwarts-) Beschreibungen. Hier was aus dem 23. Kapitel/3. Bd. „Zins und Unternehmergewinn“.
Die Spaltung des Profits in ‚Zins“ und ‚Unternehmergewinn‘
Marx untersucht in diesem Kapitel zwei Figuren des ‚Kapitals‘, den in der Produktion ‚fungierenden Kapitalisten‘ (= ‚industrielles Kapital‘) und den außerhalb der Produktion agierenden ‚Geldkapitalisten‘ (= ‚zinstragendes Kapital‘). Weiter in Steno: ‚Geldkapitalist‘ leiht als Eigentümer von Kapital dem ‚fungierenden Kapitalisten‘ als (teilweisen) Nicht-Eigentümer von Kapital – Geld und macht diesen zum Funktionär seines Geldes. ‚Geldkapitalist‘ erwirbt Anrecht auf einen Teil des ‚Profits‘, welcher dem (wirklichen) Produktionsprozess entspringt – organisiert durch den Dirigenten-Job des ‚fungierenden Kapitalisten‘. Das Anteilsrecht am ‚Profit‘ wird für den ‚Geldkapitalisten‘ ausgedrückt als ‚Zins‘. Den verbleibenden Teil des Profits eignet sich der ‚fungierende Kapitalist‘ an – ‚Unternehmergewinn‘ genannt. Usw. usf., alles schön und gut bis hierher.
Der Unternehmer, der sich selbst als Lohnarbeiter empfindet
Marx arbeitet sich sodann aus der ökonomischen Differenzierung dieser beiden Sorten von ‚Kapital‘-Subjekten heraus, und schreibt sich skizzenhaft an den sozialen Gegensatz zwischen den beiden heran… Weiter in Steno: Der ‚fungierende Kapitalist‘, der faktisch (auch) als Funktionär des ‚Geldkapitals‘ agiert, empfindet sich selbst als ‚Arbeiter‘, der sich dem eigentlichen Arbeitsprozess und seinen für ihn arbeitenden ‚Lohnarbeiter‘ stärker verbunden sieht als seinem ökonomischen Kapital-Verwandten. Sein ‚Profit‘-Anteil erscheint ihm als Lohn für seine Anstrengungen als Dirigent und Organisator seines Unternehmens und nicht mehr – was es eigentlich ist – als Aneignung fremder, vom Lohnarbeiter geleisteter, unbezahlter Arbeit (= ‚Profit‘). Seine (auch seelisch) aufreibende Arbeit wird sichtbar, unsichtbar wird er als „Aneigner“ fremder, unbezahlter Arbeit. Wie der Lohnarbeiter erscheint er nur noch als Funktionär von Arbeit…
Kapital als de-personalisierte mystische Vermehrungseigenschaft
Alsdann der nächste gedankliche Sprung: Das ‚Geldkapital‘ (‚zinstragende Kapital‘) selbst verwandelt sich in ein unpersönliches, anonymes ‚Subjekt‘, zum kaum noch greifbaren Gruppenakteur, das Funktionärsvertreter anstellt (‚managers‘)… Und als Schlusspunkt: Das ‚Kapital‘ überhaupt – sei es als ‚Geldkapital‘ oder als ‚fungierendes Kapital‘ erscheint nicht mehr als gesellschaftlich agierendes Subjekt, es erscheint de-personalisiert, subjektlos, nur noch funktionell vertreten – mit einer mystischen, ’natürlich‘ Vermehrungs-Eigenschaft versehen („Geld regiert die Welt“). Anonym und sinnlich nicht erkennbar läuft der eigentliche ökonomische Vorgang im Hintergrund ab: Die Aneignung und Aufteilung von unbezahlter (Mehr-) Arbeit, erzeugt durch ein eigentlich schlichtes ökonomisches Grundverhältnis zwischen funktionell agierenden Menschen… Dieses Unsichtbar-Werden erscheint mir zwingend und erzeugt zugleich bei mir Grusel.
Wenn Nebel etwas unsichtbar macht, aber der Nebel selbst auch unsichtbar geworden ist – kann man schwerlich sagen: Sehet, da ist Nebel, schauet doch! Und er verhüllt etwas! – Aber da ist nichts, kann nur die Antwort heißen. Ein Nichts, das ein Nichts umhüllt. Gruselig.