Fangen wir an einem entferten Punkt an um dann auf den Punkt zu kommen. Felix Bartels trifft irgendwie schon ins Schwarze, wenn er in der „Jungen Welt“ schreibt:
„Eastereggs verdecken gern dramaturgische Schwächen, hier müssen sie das nicht (Drehbuch: Laila Stieler). Das Geschehen springt zwischen zwei zeitlichen Ebenen, einer frühen, die Gundermanns Leben in der DDR zeigt, und einer späten, die die BRD zumindest als Setting hat. Die Sprünge sind abrupt, doch selten verwirrend. (…) Das funktioniert, weil die Erzählweise personal, Gundermann also in jeder Szene präsent ist. Auf die Art reagieren beide Erzählungen aufeinander.“
„Dresen und Stieler haben sich allerdings entschieden, den Schwerpunkt auf das Stasi-Thema zu legen. So korrespondieren beide Ebenen nur scheinbar miteinander, da auch die BRD-Zeit bloß von der DDR, deren Bewältigung nämlich, handelt. Unter den Tisch fällt das eigentliche Thema Gundermanns: die Tragödie des Kommunisten, der in den Kapitalismus geworfen ist und diese Transformation verarbeiten muss. Der wirtschaftliche Ausverkauf, die Kulturvernichtung, die Demütigung und Unterwerfung, die gewaltige Landnahme durchs Kapital, das die Menschen bis ins Innerste deformiert – alles, was Menschen von heute beschämen, ihre Annahme, in der überlegenen Epoche zu leben, irritieren könnte, kommt nicht vor, und damit wird der Film selbst zum Akt der Unterwerfung.“
Felix Bartels ist so daneben überhaupt nicht, jedoch er verkennt die eigentliche verborgene, strategische Grundsatzentscheidung, die Andreas Dresen und Laila Stieler trafen: Der Film ist wie ein U-Boot konzipiert, das die alte (westdeutsche) Deutungshoheit über den Osten und die Stasi emotional und extrem wirkungsvoll verdichtend unterläuft. Eine Deutungshoheit, die von Anbeginn mit vereinfachten Erklärungsmustern arbeitete, die wir im Osten neurotisch übernnahmen, weil uns die Ausdrucksfähigkeit und die -Lust bislang fehlte zu überzeugender Differenz. Das eigentlich Paradoxe ist, dass, wer genau hinhört, Gundermann selbst in seinen Texten und Liedern die Differenz schon (indirekt) geliefert hat und uns nun als Film-Figur liefert – in Form von tiefer dialektischer Melancholie.
Dresen und Stieler sind indes handwerklich enorm abgebrüht. Sie nutzen eiskalt die funktionierenden Genre-Schablonen, die der Stoff selbst bietet: eine exzellente Lovestory (ein klug gezeichnetes Drama-Dreieck: Eine Frau zwischen zwei Männern), eine kantige Rebellen-Story (ein romantisch-revolutionärer Idealist gegen einen übermächtigen Apparat), eine menschlich-wärmendes Milieu-Setting (proletarisch-reflektierter Held in einer vergänglichen Arbeitswelt – „was wir am Morgen ausgebaggert haben, ist mittags schon verfeuert“). Sie pflanzen die Stasi-Story gleich am Anfang, lassen sie ruhen, bis wir eingewickelt sind von „Gundi“, um dann zum heikle Punkt vorzustoßen: zur Stasie-Story. Und alles durchgespielt in den szenischen Anmutungen einer tragi-komischenschen Erzählweise.
Wichtig hier an dieser Stelle zu erwähnen, wer sich für das Original interessiert: die beiden Dokumentarfilme von Richard Engel und Petra Kelling über Gundermann sind vermutlich am dichtesten dran am authentischen Gundermann. Sie lassen die Stasi-Geschichte aus, aber es wird deutlich, dass Gundi in seinen letzten Jahren vermutlich gar nicht so sehr an der Stasi litt, wie der Dresen-Film suggeriert, sondern vor allem an der gesellschaftlichen und persönlichen Transformation der Arbeit von ihrer „kollektiv-sozialistischen“ in ihre marktförmige Gestalt.
Insofern trifft Felix Bartels eben doch ins Schwarze: Lailer Stieler und Andreas Dresen schießen streng genommen am „Wesen“ eines Menschen und der Sache vorbei, weil sie sich mit handwerklicher Raffinesse für die naheliegende historische „Erscheinung“ einer Sache (das Stasi-Unrecht) und eines ihrer Subjekte (Gundermann) entschieden haben und den „einfachen“ Zuschauer da abholen, wo er als historisch Lernender gerade steht und medial geformt ist. Scheiß auf die philosophisch tiefere Wahrheit! Führe den Zuschauer am Nasenring aus einer kulturellen Hegemonie heraus in ein neues Feld der Deutungsmöglichkeiten. Das nenne ich clever. Ein Schritt nach den andern setzen.